Zweimal im Jahr - nach der Leipziger Buchmesse und nach der Frankfurter Buchmesse - sprechen drei Literaturkritiker*innen über Neuerscheinungen von Autor*innen, die aus Sachsen kommen oder in Sachsen zu Hause sind. Anschließend ist ein weiterer Autor oder eine Autorin mit seinem oder ihrem Buch zu Gast.
Rebecca Maria Salentin: Iron Woman (Voland & Quist)
In „Klub Drushba“ beschrieb Rebecca Maria Salentin ihre dreimonatige Wanderung auf dem „Weg der Freundschaft“ von Eisenach bis Budapest. Nun ist sie abermals losgezogen: diesmal mit dem Fahrrad, so leicht wie nur möglich bepackt. Fast 10.000 Kilometer war sie unterwegs, den ehemaligen Eisernen Vorhang entlang, auf dem Iron Curtain Trail. Eine Fahrt durch zwanzig Länder, vom Schwarzen Meer bis zur Barentssee, über fast unpassierbare Grenzen, durch eisige Kälte und einsame Nächte. Aber auch an etlichen unerwartet schönen Landschaften vorbei, durch wilde Gegenden, gespickt mit überraschenden Begegnungen und Geschichten, mit viel Nachdenken über die eigene Herkunft.
Dirk Oschmann: Der Osten. Eine westdeutsche Erfindung (Ullstein Verlag)
Was bedeutet es, eine Ost-Identität auferlegt zu bekommen? Eine Identität, die für die wachsende gesellschaftliche Spaltung verantwortlich gemacht wird? Der Attribute wie Populismus, mangelndes Demokratieverständnis, Rassismus, Verschwörungsmythen und Armut zugeschrieben werden? Dirk Oschmann will in seinem Buch zeigen, dass der Westen sich über dreißig Jahre nach dem Mauerfall noch immer als Norm definiert und den Osten als Abweichung. Unsere Medien, Politik, Wirtschaft und Wissenschaft werden von westdeutschen Perspektiven dominiert.
Andreas Altmann: Von beiden Seiten der Tür (Poetenladen)
In Andreas Altmanns Gedichten tritt die Natur nicht als Gegenwelt in Erscheinung, sondern wird als unmittelbar Erfahrenes ins Erleben geholt. Es findet eine dichterische Anverwandlung statt. Man möchte meinen, dass sich hinter den Phänomenen etwas Unerforschtes verbirgt, das gleichsam der entmystifizierten Landschaft zurückgegeben wird. Rettung stellen Andreas Altmanns Gedichte gleichwohl nicht dar. Der Verfall ist allgegenwärtig. Die Katastrophe ist nicht mehr vor uns, sondern längst um und in uns. Lakonisch heißt es in Anspielung auf die berühmten Verse Rilkes: wer jetzt kein haus hat, stirbt.
Jan Kuhlbrodt: Krüppelpassion (Gans Verlag)
Jan Kuhlbrodt, ist an Multipler Sklerose erkrankt und sitzt im Rollstuhl. In seinem Text thematisiert er seine Erkrankung und das Sterben. Kuhlbrodt schreibt: „Man könnte mein neues Buch als Chronik eines sich ankündigenden Todes verstehen. Aber der Blick auf den Tod sperrt sich der chronologischen Schreibweise. Im Text versuche ich zwar, seine Zeichen zu erkennen. Bisweilen gelingt das aber erst, wenn sie schon lang nicht mehr leuchten. So enthält mein künftiges Sterben ein Moment der Erinnerung an das Leben davor. Aber da es im Leben drunter und drüber geht, Mitmenschen und Umstände einem immer wieder physische und seelische Einschränkungen vor Augen führen, steht im Buch Erinnerung und Slapstick an der Seite der Philosophie, aber auch des Zorns.“ Für einen Auszug aus „Krüppelpassion“ wurde Jan Kuhlbrodt mit dem Alfred-Döblin-Preis ausgezeichnet.